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Metaverse: Eine neue Realität – auch für das Banking?

Das bedeutet das Metaverse für die Finanzindustrie

Tobias Tenner
Tobias Tenner
Simon Zieglgruber

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Metaverse und die Bedeutung der virtuellen Ökonomie

Metaverse und die Bedeutung der virtuellen Ökonomie

Im Oktober 2021 hat sich das US-amerikanische Tech-Unternehmen Facebook in Meta umbenannt. Diese Entscheidung ging damals Hand in Hand mit der Ankündigung, das Metaverse zum wichtigsten Geschäftsfeld der Zukunft ausbauen zu wollen. Wenngleich die Idee eines Metaverse damals nicht mehr ganz neu war, schien Facebook mit dieser Bekanntgabe doch eine visionäre Vorstellung vom Internet der Zukunft zu umreißen. Doch was genau ist unter dem Metaverse überhaupt zu verstehen und welches Potenzial schlummert in dieser Technologie? 

Transformationen des Internets

Um das Metaverse verstehen zu können, sollte man einen Blick in die Historie des Internets werfen. War das Web 1.0 noch eine Ansammlung von Webseiten, die über einfache Links miteinander verbunden wurden, zeichnet sich das Web 2.0 durch den Ausbau sozialer Netzwerke und durch forcierte Interaktionen zwischen Milliarden von Nutzern aus. Das ursprüngliche Versprechen eines offenen Internets, an dem alle Nutzer gleichermaßen teilhaben, wurde durch die Omnipräsenz der BigTechs allerdings mehr und mehr ausgehöhlt.

Hier nun knüpft das Web 3.0 an. Web 3.0 ist eine Reaktion auf die Zentralisierung des Web 2.0 durch einzelne Konzerne und setzt folgerichtig auf ein dezentrales Netz: Menschen sollen (wieder) souveräne Eigentümer ihrer Daten und digitalen Güter sein und an der Gestaltung des Internets mitwirken. 

Metaverse im Web 3.0 

Was aber ist nun das Metaverse? Während das dezentralisierte Web 3.0 – vereinfacht gesagt – eine Vision des Internets der Zukunft ist, baut das Metaverse auf der Architektur des Web 3.0 auf und steht für die Vision eines immersiven Internets, welches sich nahtlos in unser tägliches Leben integriert. Suresh Balaji etwa, Chief Marketing Officer Asia-Pacific bei der HSBC, versteht unter Metaverse „die Art und Weise, wie die Menschen Web 3.0, die nächste Generation des Internets, erleben werden – unter Verwendung immersiver Technologien“. Immersion bezeichnet das Eintauchen in eine virtuelle Realität. 

Das Metaverse ist also eine digitale 3D-Welt, in der sich reale Menschen bewegen und digital interagieren. „Betreten“ kann man das Metaverse über eine Metaverse-Plattform, die nichts anderes ist als eine Webseite oder eine App. Da das Metaverse sowohl eine virtuelle (z.B. graphische 3D-Umgebung) als auch eine soziale Umgebung darstellt, muss der Nutzer sich anderen Nutzern gegenüber „darstellen“; dies tut er, indem er einen Metaverse-Avatar kreiert. Für die Erhöhung des Realitätsgrades und die visuelle Tiefe des Metaverse können technische Geräte, wie zum Beispiel eine Virtual-Reality-Brille, eingesetzt werden. 

Bekannte Plattformen sind „Decentraland“ und „The Sandbox“, die den Nutzern nicht nur Zugang zu einer virtuellen Welt ermöglichen, sondern beispielsweise auch virtuelle Grundstücke als NFT (Non-fungible token) zum Kauf anbieten, also als einmalige und unveränderliche digitale Abbildung eines Vermögenswertes. Bezahlt wird durch die jeweiligen Kryptowerte der Anbieter: MANA (Decentraland) und Sand (The Sandbox). NFTs und Kryptowerte spiegeln also einerseits digitalen Besitz wider und werden anderseits im Metaverse als Geld eingesetzt.  

Anwendungsfelder des Metaverse

Anwendungsfelder im Metaverse gibt es für Unternehmen aus unterschiedlichen Bereichen, nicht nur für die Gaming-Industrie. Beispiel Unterhaltungsbranche: Hier könnten ortsunabhängige Events aller Art im Metaverse veranstaltet werden – Konzerte, Museen, Vernissagen, Modeschauen, Filmpremieren, Sport, Themenparks und vieles mehr. Die virtuelle Umgebung könnte dazu beitragen, diese verschiedenen Veranstaltungen durch die nahtlose Integration eines NFT-Marktplatzes zu ergänzen.

Ebenso kann das Metaverse unseren Arbeitsalltag verändern und die sozialen Interaktionen in den virtuellen Raum verschieben. Die virtuelle Unterhaltung im Metaverse unterscheidet sich von Online-Meetings im 2D Raum durch die realistischen Interaktionsmöglichkeiten zwischen den Teilnehmern. Man kann sich frei bewegen und nahezu einem echten Live-Event gleich miteinander interagieren. So plant beispielsweise ein europäischer Bankenverband bereits ein eigenes kleines Metaverse für sich aufzubauen, das in der Lage ist, als Netzwerkplattform zu dienen sowie einen Space für Meetings und Events schafft. Facebooks Horizon Workrooms und Microsofts Mesh für Microsoft Teams bieten die Gelegenheit, im Metaverse virtuelle Veranstaltungen zu organisieren. Obwohl die beiden Unternehmen hauptsächlich Plattformen für Business User anbieten, macht Microsoft im Rahmen einer Partnerschaft seine Metaverse-Lösung mit den VR-Headsets von Meta kompatibel. Die Microsoft 365-Tools werden auf diesen Geräten zugänglich sein.

Beispiel E-Commerce: Laut eines Whitepapers von der Deutschen Bank hat das Metaverse das Potenzial, aufgrund seines visuellen, immersiven Erlebnisses die nächste E-Commerce-Revolution einzuläuten. Da das E-Commerce-Erlebnis im Metaverse eine extreme Personalisierung von Produkten erlaubt, können die Nutzer das Produkt nicht nur nach Farbe oder Aufdrucken konfigurieren, sondern es auch selbst gestalten. Deswegen könnten jene Unternehmen, die Omnichannel-Strategien für den Verkauf von Produkten und Dienstleistungen einsetzen, von der 3D-Welt des Metaverse besonders stark profitieren. 

Doch auch für die produzierende Industrie ist das Metaverse von großem Interesse: Bereits heute erkundet die Fertigungsindustrie die Möglichkeiten der sogenannten digitalen Zwillingstechnologie. Gemeint ist damit die virtuelle Repräsentation beispielsweise einer Fertigungsanlage, deren Steuerung und Simulation über das Metaverse stattfinden kann. Dadurch könnten die Hersteller Kosten, Zeit und Ressourcen einsparen. Auch hier gibt es bereits erste Projekte und Erfahrungen: Boeing erforscht zum Beispiel die Technologie des digitalen Zwillings, um Flugzeuge zu warten und bauen. Siemens Energy hat einen digitalen Zwilling entwickelt, um eine vorausschauende Wartung von Kraftwerken anzubieten. Ericsson baut digitale Zwillinge von Städten, um das Zusammenspiel von 5G-Zellen und der Umgebung für maximale Leistung und Abdeckung zu untersuchen.

Darüber hinaus gibt es Anwendungsbeispiele im medizinischen Umfeld. So lassen sich operative Eingriffe in der Telemedizin durch Metaverse-Anwendungen über große Distanzen äußerst präzise durchführen. Für psychotherapeutische Behandlungen, beispielsweise zur Behandlung von Klaustrophobie, können Betroffene und Therapeuten spezifische Situationen schaffen, um im Metaverse zu trainieren.

Nicht zuletzt hat der Hype um das Metaverse auch zu einem Boom bei virtuellen Gütern, insbesondere bei Immobilien geführt. Über die Plattformen wie The Sandbox, Axie, Infinity und Decentraland wechseln bereits heute virtuelle Grundstücke ihren Besitzer. 

Marktpotential des Metaverse 

Aber welches wirtschaftliche Potenzial schlummert hier tatsächlich? Die Größe des Marktes hängt stark von der Definition dessen ab, was das Metaverse sein soll. Die enorme Bandbreite an Schätzungen ist daher der bislang fehlenden einheitlichen und allgemein gültigen Definition geschuldet. 

Laut Bloomberg etwa könnte der Metaverse-Markt im Jahr 2024 ein Volumen von ca. 800 Milliarden US-Dollar erreichen, wobei der Marktanteil in den Bereichen Live-Entertainment, Spielesoftware sowie Dienstleistungen und Werbung besonders hoch ist. Einem Bericht von Brandessence Market Research zufolge wird das Marktvolumen des globalen Metaverse-Marktes für das zurückliegende Jahr 2021 auf 209,77 Milliarden Dollar geschätzt. Bis 2027 könnte der Markt ein Volumen von 716,5 Milliarden Dollar erreichen, was einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 22,7 % entspräche. Gartner, eines der weltweit angesehensten Unternehmen für Unternehmensanalysen, veröffentlicht keine Wachstumszahlen, prophezeit aber, dass das Metaverse noch mindestens zehn Jahre brauchen wird, um große Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft zu haben.

In den vergangenen Monaten waren deutlich skeptischere Stimmen zu den Zukunftsaussichten des Metaverse zu vernehmen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Einige Experten führen die Skepsis der Investoren auf die noch nicht ausgereifte Technik oder die oftmals noch nicht verfügbare Hardware zurück. So war es beispielsweise in Deutschland aufgrund rechtlicher Fragestellungen lange Zeit unklar, ob die Virtual-Reality-Brillen von Meta auf den Markt kommen werden. Andere vertreten die Auffassung, dass die Krise der Kryptowährungen und in weiten Teilen des Tech-Sektors in diesem Jahr gewisse Übererwartungen an digitale „Wundertechniken“ zurechtgerückt haben, wovon auch das Metaverse betroffen ist.

Um die Entwicklung und Einführung zu beschleunigen, wurde im Juni 2022 das Metaverse Standards Forum gegründet. Das Forum fördert die Zusammenarbeit zwischen Normungsorganisationen und Unternehmen. In den zwei Monaten nach dem Start im Juni 2022 haben sich 1.500 Unternehmen und Organisationen für die Entwicklung von Normen beteiligt. 

Was bedeutet nun das Metaverse für die Finanzindustrie? Warum kaufen zahlreiche Banken bereits Grundstücke im Metaverse? Können die Institute auch im Metaverse tätig sein? Im zweiten Teil morgen beantworten wir diese Fragen und werfen einen Blick auf das Banking im Metaverse. 

Banking im Metaverse

Banking im Metaverse

Banking im Metaverse steckt derzeit noch in seinen Anfängen. Experten gehen jedoch davon aus, dass die Kombination von Decentralised Finance (DeFi) mit Bank- und Finanzdienstleistungen dazu führen kann, dass in der Zukunft spezielle, auf die besonderen Bedürfnisse des neuen Ökosystems zugeschnittene Produkte entstehen werden. Doch was bedeutet das konkret? Wie können Banken das Metaverse für sich erschließen?

Ein logischer Schritt wäre zunächst, dass Banken Filialen im Metaverse eröffnen, um sich mit Kunden aus der ganzen Welt in einer virtuellen Umgebung treffen zu können. Dies würde Kosten und Zeit für Banken wie für Kunden sparen. Und tatsächlich geschieht dies bereits: J.P. Morgan ist die erste Bank der Welt, die eine Niederlassung im Metaverse eröffnet hat – die größte Bank der USA startete im Februar 2022 mit einer Lounge auf der Plattform „Decentraland“. Die Dienstleistungen, die sie dort derzeit anbietet, sind klassisches Bankgeschäft, etwa Vermögensverwaltung oder Kreditvergabe. 

HSBC hat sich ebenfalls in das Metaverse vorgewagt und im März 2022 virtuelle Immobilien auf der Plattform „The Sandbox“ erworben, um neue Formen der Kundenbindung zu erschließen und Wachstumsmöglichkeiten zu schaffen. Die Deutsche Bank wiederum hat sich im Metaverse ein Grundstück gekauft und eine „3D-Besucherlounge“ eröffnet. In dieser Metaverse-Filiale können die Besucher in einem interaktiven Raum viele kleine Videos ansehen und sich zu verschiedenen Themen informieren.

Inkrementelle Innovationen stellen diese Aktivitäten jedoch noch nicht da, aber sind die ersten Schritte, um im Metaverse laufen zu lernen.

Metaverse-Geschäftsfelder für Banken

Doch der Kauf von virtuellen Immobilien und die Eröffnung einer virtuellen Filiale könnten lediglich die ersten Schritte sein. Eine Reihe weiterer Dienstleistungen sind vorstellbar, die die Banken im Metaverse erbringen können. 

Für digitale Güter wie NFTs und Kryptowerte etwa könnten Banken ihre Expertise in der Verwahrung von Vermögenswerten nutzen und unterschiedliche Beratungsservices anbieten, die den Kauf, Verkauf und die Finanzierung umfassen.  

Zur Verwahrung dieser digitalen Werte werden Wallets, also digitale Geldbörsen verwendet, deren Sicherheit absolute Priorität genießen sollte. Da Banken höchsten Ansprüchen im Kontext von Cybersicherheit genügen, könnten sie ein Versicherungsmodell entwickeln, das das Vertrauen der Verbraucher in die neue Technologie stärkt. Zusätzlich ist vorstellbar, dass Banken mit einer benutzerfreundlichen Wallet die Komplexität reduzieren, die mit dem Verwalten einer Vielzahl an verschiedenen digitalen Werten für die Benutzer einhergeht.

Und auch den Geldtransfer zwischen Kryptowerten und Fiatgeld könnten Banken in der Zukunft sicherstellen, wenngleich heute noch unklar ist, welche Rolle die unterschiedlichen Währungen im Metaverse spielen werden. 

Grundlegend für die wirtschaftliche Infrastruktur des Metaverse ist eine nahtlose Zahlungsverkehrsinfrastruktur, die effiziente und kostengünstige Transaktionen ermöglicht. Eine der Kerneigenschaften sollte die Interoperabilität innerhalb des Metaverse sein, also zwischen verschiedenen Plattformen. Nach jetzigem Stand geht man davon aus, dass Mikrozahlungen die wichtigste Zahlungsart im Metaverse sein werden. Hier könnten Banken Kundenwünschen nachkommen und effiziente Transaktionen anbieten. 

Zu guter Letzt ist es naheliegend, dass Banken auch bei Krediten ihre langjährige Erfahrung einbringen. Unter Rückgriff auf bereits bestehende Prozesse aus dem Risikomanagement könnten Banken im Metaverse etwa die Bonitätsprüfung auch für andere Kreditnehmer übernehmen.

Regulatorische und andere Baustellen 

Im Metaverse sind viele neue Geschäftsmodelle vorstellbar, doch wann und ob sie realisiert werden, ist derzeit noch ungewiss. Ihre Umsetzung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch deshalb nicht möglich, weil etliche regulatorische Fragen noch unbeantwortet sind.  

Welche offenen Baustellen gibt es? Zunächst bedarf es einer allgemeingültigen, rechtlichen Definition des Metaverse. Es ist beispielsweise noch völlig unklar, wie die rechtliche Beziehung zwischen unterschiedlichen Parteien geregelt ist. Aufgrund der digitalen Natur des Metaverse erfolgt die Abwicklung von Geschäften grundsätzlich unabhängig vom Standort der Personen. Bei einer Veräußerung von Vermögenswerten oder einem Tauschgeschäft im Metaverse können daher verschiedene Rechtsordnungen anwendbar sein (z.B. in Bezug auf Steuern, AML-Vorschriften oder die Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften). Sollte es bspw. zu Streitigkeiten zwischen Nutzern aus unterschiedlichen Regionen der Welt kommen, ist die Antwort auf die Frage, welcher zivilrechtlicher Rechtsrahmen zugrunde gelegt wird, von besonderer Bedeutung.

Ähnlich verhält es sich mit dem Datenschutz – welches Recht findet hier im Metaverse Anwendung? Die allgemeine Gültigkeit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist europaweit garantiert, für den Austausch von Daten außerhalb der Europäischen Union (EU) müssen Datenschutzabkommen geschlossen werden. Hinzu kommt, dass die Vielfalt der Daten (Bewegungen, Handlungen, Fokus, Dauer, Gesichtsausdruck, Stimmlage und Gesundheit) möglicherweise nicht durch die DSGVO abgedeckt ist. Was das alles für das Metaverse bedeutet, ist noch unklar.

Gerade Banken, die die Rolle einer Vertrauensinstanz einnehmen, brauchen einen verlässlichen rechtlichen Rahmen, damit sie im Metaverse tätig sein können. Identifizierungsmaßnahmen müssten beispielsweise so ausgestaltet sein, dass die Identität des Kunden eindeutig festgestellt werden kann.

Doch nicht nur rechtliche Unklarheiten erschweren den Durchbruch des Metaverse. Aus ökologischer Sicht etwa ist – Stand heute – absehbar, dass die Technologie große Mengen an Energie verbrauchen wird. Für den Aufbau virtueller Welten, die Datenspeicherung von Kryptowerten und für Transaktionen im Metaverse werden hohe Rechen-, Server- und Übertragungskapazitäten benötigt. Sollte es hier keine klimaschonenden Lösungen geben, könnte dies die Entwicklung des Metaverse erheblich beeinträchtigen.

Und ein weiteres großes Problem wird das Metaverse möglicherweise ausbremsen: Die gesamte heutige Netzinfrastruktur, die es den Nutzern ermöglicht, nahtlos im Internet zu navigieren, scheint für den Aufbau eines nahtlosen Metaverse-Erlebnisses mit verknüpften Welten ungeeignet. Zudem bleibt es fraglich, ob die Virtual-Reality-Technologie für Anwendungsszenarien jenseits von Games und Entertainment wirklich geeignet ist. Und dennoch: Beschäftigen wird uns das Metaverse in seinen verschiedenen Formen sicherlich noch eine lange Zeit.

Tobias Tenner

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Tobias Tenner

Leiter Digital Finance